500 Schüler*innen, 20 Lehrer*innen, 16 Veranstaltungen, 9 Z(w)eitzeug*innen, 3 präsentische Veranstaltungen - diese wenigen Zahlen geben nur einen kleinen Eindruck von drei intensiven Wochen im ersten Online-Zeitzeugenprojekt im Bistum Limburg.
Frau Anna Janowska-Ciońćka aus Krakau eröffnete am Montag, 21. Juni das Zeitzeugenprojekt in Frankfurt-Höchst und schloss den Kreis am Freitag, 9.Juli.
Im Vorfeld wurde klar, dass durch die gelockerten Corona-Bestimmungen an den Schulen eine präsentische Moderation des Projektleiters Dr. Marc Fachinger möglich war.
Dies war auch insofern hilfreich, da das Videokonferenz-Tool ZOOM an der Firewall so mancher Schule scheiterte und so eine Hotspot-Verbindung über ein Handy die Verbindungen nach Krakau, Prag oder Danzig ermöglichte.
Die erste Woche vom 21. Juni bis 24. Juni
Anna Janowska-Ciońćka konnte sich noch gut an das Zeitzeugenprojekt in Hofheim im Februar 2020 erinnern. Dieses fand kurz vor den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie statt. Nun war sie per Zoom aus Krakau zugeschaltet, ihre Simultan-Dolmetscherin Renata Baranowska aus Warschau, während Frau Dr. Danuta Konieczny vom Maximilian-Kolbe-Werk in Freiburg eine Präsentation mit Familienfotos und erläuternden Grafiken und Karten beisteuerte.
Nach 45 Minuten beantwortete Anna Janowska-Ciońćka dann die Fragen von Schüler*innen der Ludwig-Erhard-Schule Frankfurt-Höchst, die sich dazu vor der Web-Kamera platzierten. Auf die Frage einer Schülerin, was sie denn der Welt gerne sagen würde, antwortete sie: "Rassismus verursacht großes Unglück."
Ihre Geschichte ist wie die anderer jüdischer Überlebender eine Collage von Glück, Heldentum, Tapferkeit, Geduld, Vertrauen, Hass, Missachtung, Menschenwürde, Mut und Dankbarkeit.
Am Dienstag, 21. Juni konnte mit dem Besuch von Petra Kunik an der Mendelssohn-Bartholdy-Schule Sulzbach die erste rein präsentische Veranstaltung stattfinden. Petra Kunik unterlegte ihre persönlichen Erfahrungen als 1945 in Magdeburg geborene deutsche Jüdin oder jüdische Deutsche mit einem Filmausschnitt über "Juden in Frankfurt" von 1963. Es war die Zeit der Auschwitz-Prozesse, bei denen sie tagtäglich dabei war.
Mit Dr. Klaus Riemer aus Bad Nauheim war ein zweiter Zeitzeuge zum ersten Mal mit in einem Projekt des Bistums Limburg eingebunden. Am Abend des 24. Juni moderierte Dr. Marc Fachinger von dessen Wohnort Bad Nauheim eine Online-Veranstaltung mit 10 Erwachsenen. Hier wurden auch schwierige Fragen von deutscher "Vergangenheitsbewältigung" angesprochen.
Am Vormittag dieses Tages hatte Anna Janowska-Ciońćka vor über 50 Schüler*innen der Religionskurse des 9. Schuljahres des Heinrich-von-Gagern-Gymnasiums am Frankfurter Zoo gesprochen.

Die zweite Woche vom 28. Juni bis 2. Juli
In Kooperation mit dem Zeitzeugenprojekt der Diözese Mainz begann die zweite Zweitzeugen-Woche. Stephanie Roth moderierte das Gespräch mit Henriette Kretz, die aus Antwerpen zugeschaltet war. Über 70 Schüler*innen der Main-Taunus-Schule Hofheim und der Goetheschule Limburg verfolgten zweieinhalb Stunden die Lebensgeschichte von Henriette Kretz und konnten ihre Fragen stellen.
Am Nachmittag erzählte Marc Fachinger als Zweitzeuge die Lebensgeschichte von Krystyna Kozak (im Mai 2021 in Grudziądz gestorben) anhand von Film- und Audioaufnahmen, sowie Fotos und Dokumenten im Adorno-Gymnasium Frankfurt.
Am Dienstag nahm zum ersten Mal Dr. Michaela Vidláková an einem Zeitzeugengespräch im Bistum Limburg teil. Von Prag aus erzählte sie auf bewegende Weise in einem eindrucksvollen Deutsch ihre Zeit in Theresienstadt. Sie hatte dazu eine eigene Präsentation vorbereitet, die den Schüler*innen der Geschichtskurse am Privatgymnasium Dr. Richter in Kelkheim und an der Schule am Ried in Frankfurt diese Lebensgeschichte sehr nahe brachte. "Es gibt keinen Bruder." so eine ihrer zu Herzen gehenden kurzen Aussagen, die die Hoffnungen in den Berliner Waisenjungen betraf, der ihr auf der Typhus-Station in Theresienstadt Deutsch beigebracht hatte, und dann später deportiert wurde.
Wie eine Woche zuvor lud die Mendelssohn-Bartholdy-Schule Sulzbach auch Dr. Riemer am Mittwoch präsentisch in die Schule ein, wozu er einige begleitende Fotos u.a. vom Tante-Emma-Laden seiner Eltern in Berlin mitgebracht hatte. Hier hatte seine platonische Liebe, die Jüdin Edith Beigel, vormittags die Milch abgeholt. Sie wurde später in Auschwitz ermordet.
Am Abend dieses Tages fesselte Dr. Michaela Vidláková 15 Erwachsene mit ihrer Lebensgeschichte. Leider gab es an diesem Abend Probleme mit dem Zugang zur Videokonferenz für einige Angemeldete, die sich auf die Schnelle nicht beheben ließen.
Am Donnerstag bot der Verein Zweitzeugen e.V. mit Kesina Eroshina einen dreistündigen Workshop für eine Höhere Berufsfachschulklasse an. Stephanie Roth moderierte kurzfristig sowohl diese Veranstaltung als auch das abendliche Zeitzeuginnen-Gespräch mit Petra Kunik, da Marc Fachinger kurzfristig privat verhindert war.
Mit der Ermutigung "Ihr seid die Zukunft" schloss Dr. Michaela Vidláková diese Woche vor über 50 Schülerinnen der Sankt-Angela-Schule in Königstein. Auch hier wurden von den Schülerinnen kluge und wichtige Fragen gestellt, die Frau Vidláková sichtlich freuten.

Die dritte Woche vom 7. - 9.Juli

Ein Mittwoch mit drei Veranstaltungen eröffnete die letzte Woche des Zeitzeugenprojekts.
Mit Mikołaj Skłodowski sprach wie beim Zeitzeugenprojekt 2018 mit Zofia Wareluk und Bogdan Chrzrezsianski ein Zeitzeuge, der in einem KZ geboren worden war. Pfr. Skłodowski am 25.3.1945 in Ravensbrück. Sehr lebendig und mitreißend für die 17 Schüler*innen der IGS Obere Aar erzählte er die Geschichte seiner Mutter und seine Verpflichtung heute als Vorstand im Verein "Kinder des Holocaust". "Trefft euch miteinander!" gab er mit und lud alle zu sich nach Sopot bei Danzig ein.
Am Nachmittag sprach der Schriftsteller Takis Würger aus Berlin zu Schülerinnen der Oberstufe an der Marienschule Limburg über das Entstehen seines Buches über den Auschwitz-Überlebenden Noah Klieger. "Ich bin ein Überlebender" so habe dieser seine Erzählung immer angefangen, nachdem er vorher in die Gesichter seiner jugendlichen Zuhörer*innen geschaut habe. Im Zuhören ensteht etwas Besonderes war die Erfahrung von Takis Würger, und es war die Erfahrung an diesem Nachmittag in Limburg. Marc Fachinger sprach als Dank aus, was Noah Klieger nach Erscheinen des Buches zu Takis Würger gesagt hatte: "Würger, Bravo."
Am Abend hatte dann die Geschichte von Krystyna Kozak zum zweiten Mal ihren Ort innerhalb des Zeitzeugenprojekts. Was Marc Fachinger im Adorno-Gymnasium eine Woche zuvor erzählt hatte, formulierte er nun in Worten an Erwachsene, um dann vor allem in Originaltönen Krystyna Kozak zu Wort kommen zu lassen.
Den Kreis schloss dann, wie schon angemerkt, Anna Janowska-Ciońćka mit ihrer Geschichte aus Krakau für Schüler*innen der Religionskurse am Adorno-Gymnasium Frankfurt.
Was bleibt
Eine sehr intensive Zeit ist zu Ende: sowohl der Vorbereitung als auch Durchführung. Nun ist der Blick auf das Kommende gerichtet.
Den Mitgliedern von Pax-Christi Rhein-Main, sowie der Friedensarbeiterin Jana Freudenberger sei Dank für das Mitdenken und -vorbereiten dieses ersten online-Zeitzeugenprojekts. Angefangen mit der Vorstellung eines präsentischen Projekts in Limburg mussten wir im Februar uns neu orientieren, um dann doch über reine online-Begegnungen zu "hybriden" Veranstaltungen mit Moderationen in den Schulen zu kommen.
Dem Maximilian-Kolbe-Werk unter Dr. Danuta Konieczny, unserem langjährigen Kooperationspartner sei ebenso Dank wie Stephanie Roth vom Zeitzeugenprojekt der Diözese Mainz.
Die Zeitzeugenbörse Berlin machte die Begegnung mit Dr. Klaus Riemer möglich, die Hessische Landeszentrale für politische Bildung finanzierte die Begegnungen mit Petra Kunik.
Der Autor Takis Würger in Absprache mit seinem Verlag machte eine Begegnung möglich unter dem Verzicht eines Honorars und zugunsten der Verbreitung der Geschichte von "Noah, einem Überlebenden".
Der Verein Zweitzeugen e.V., mit dem ebenso zum ersten Mal eine Kooperation stattfand, weist zugleich in die Zukunft ohne erste Zeitzeug*innen, die in diesem Online-Zeitzeugenprojekt eine große Rolle spielte.
Dabei sind die vielen engagierten Lehrer*innen in den Fächern Geschichte, Deutsch, Religion, Ethik oder POWI der beteiligten Schulen weitere ganz wichtige Kooperationspartner*innen für die Zukunft. Es war eine wirkliche Hoffnung machende Freude, wie ernst es Schulen im Bistum Limburg und den darin wirkenden Lehrer*innen mit der Begegnung mit Zeitzeug*innen ist. Und zugleich haben die 500 beteiligten Schüler*innen mit ihren Fragen und ihrem Dabeisein gezeigt, dass die Frage nach dem Menschen eine unabgeschlossene aber auf Hoffnung hin zielende Antwort erwarten kann.
Ein Danke an alle Beteiligten, in der Hoffnung, dass das geplante Zeitzeugenprojekt im November/Dezember in Hofheim stattfinden kann - aber dies in der Gewissheit, dass auch Online-Begegnungen ihren Wert haben.
Zuletzt und zu allererst danke ich den Dolmetscherinnen Renata Baranowska und Maryna Rubszynska und dann natürlich allen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die uns aus Antwerpen, Krakau, Prag und Sopot zugeschaltet waren:
Dr. Michaela Vidláková
Mikołaj Skłodowski
Henriette Kretz
Anna Janowska-Ciońćka.
Ganz herzlichen Dank!
Wir hoffen, dass wir uns bald - wieder oder zum ersten Mal - präsentisch im Bistum Limburg sehen können.

Berichte beteiligter Schulen
Zur Begegnung mit Anna Janowska-Cioncka am Montag, 21.Juni, 10:00 Ludwig-Erhard-Schule Frankfurt-Höchst
https://www.les-frankfurt.de/index.php/news/17-schulintern/1505-holocaust-zeitzeugin-anna-janowska-cioncka-im-gespraech-mit-schuelerinnen-und-schuelern-der-11f4
Zur Begegnung mit Anna Janowska-Cioncka am Donnerstag, 24.Juni, 10:00 Heinrich-von-Gagern-Gymnasium Frankfurt
https://new.hvgg.de/2021/08/zeitzeugengespraech-mit-frau-anna-janowska-cioncka-am-heinrich-von-gagern-gymnasium-am-24-juni-2021/
Zur Begegnung mit Dr. Michaela Vidlakova am Dienstag, 29.Juni, 10:00 Privatgymnasium Dr. Richter/Schule am Ried
https://www.pdr-kelkheim.de/news-detail/zeitzeugenprojekt-am-pdr-ghetto-ueberlebende-berichtet-q2-von-ihren-erlebnissen.html
Zur Begegnung mit Dr. Michaela Vidlakova am Freitag, 2.Juli, 10:00 St. Angela Schule Königstein
Bericht im Jahrbuch 2020/2021
Weitere Berichte
Zur Begegnung mit Dr. Klaus Riemer am 24.Juni, 19:00 online
Erwäget die Jahre vergangener Generationen.
Sefer Dewarim
