Mit Gerhard Wiese im Gespräch

11.07.2024

Rüdiger Grölz, der als Jugendlicher in seinem Heimatort Königstein-Mammolshain Zeuginnen und Zeugen des Frankfurter Auschwitz-Prozesses erlebt hat, berichtet von dem Gespräch mit Gerhard Wiese am 10.Juli,

Über 60 Jahre her

Im Dezember 1963 wurde der Auschwitzprozess im Haus Gallus in Frankfurt eröffnet. Ein wichtiges Ereignis bei der Bewältigung der NS-Zeit in Deutschland. Gerhard Wiese, einer der von Fritz Bauer hinzugezogenen jungen Staatsanwälte hat im Giebelsaal des Haus am Dom berichtet.

Bauer wollte auf keinen Fall Juristen bei diesem Prozess haben, die nach 1933 verantwortlich tätig waren. Wiese erzählte wie bedeutungsvoll und wirksam die Rolle der Zeuginnen und Zeugen bei der Wahrheitsfindung gewesen war. Das Mantra der Angeklagten war fast unisono „Nichts gewusst“.

Die Prozessbeteiligten

Die Prozessbeteiligten konnten sich bei einer dramatisch verlaufenen Informationsreise nach Auschwitz informieren ( unter anderem fiel der Flug wegen schlechten Wetters aus und man musste von einem anderen Ort mit einer Sondermaschine nach Polen fliegen). Im KZ konnten sie selber sehen, dass die Angeklagten die Schreie der Gefolterten hören mussten und dass die Befehlshaber die Erschiessungen von ihren Räumen aus sehen mussten. Auch wenn es ihre Meinung vielleicht nicht geändert hatte, wurden die Verteidiger deutlich stiller. Auschwitz stellte sich als durchorganisierter Vernichtungsbetrieb dar.

Wieder in Deutschland versuchte Gerhard Wiese, so erzählte er, die Bundesanwaltschaft von seinen Erkenntnissen zu überzeugen. „ Mit diesem Verfahren werden sie bei uns kein Glück haben“ war die ablehnende Reaktion in Karlsruhe. Zum Glück gab es damals Fritz Bauer. Wiese war erst 2 Jahre Staatsanwalt und hatte durch Fritz Bauer den Impuls seines Lebens bekommen. Bauer erreichte sein Ziel, nämlich rechtskräftig festzustellen, was in Auschwitz gewesen war. Auf die Frage wie belastend für ihn seine Arbeit gewesen sei, blieb Wiese ganz der sachliche Jurist und beschrieb wie froh er war abends in die überfüllte Strassenbahn zu steigen und in das normale Leben einzutauchen.

Belastende Erfahrungen

Es war für die angereisten Zeugen sehr belastend sich in dem Gerichtssaal einzufinden und vor den Zeugenstand zu treten, der Übersetzerin zuzuhören und rechts vor sich den geschlossenen Block der Angeklagten zu sehen. Da es kaum Dokumente zur Verfügung gab, musste sich die Beweisführung sehr stark auf die Zeugen aussagen stützen. Die SS hatte sehr viele Dokumente vernichtet und die Sowjetunion rückte die Dokumente in ihrem Besitz nicht heraus. Ein Angeklagter, der Adjutant Mulka, wurde tatsächlich durch ein Dokument überführt. Man fand seine Unterschrift unter eine Zyklon-B-Bestellung.

Die Mammolshainer Pax Christi-Gruppe hatte in dieser Zeit Prozesszeugen privat Quartier gegeben. Damals eine wichtige menschenfreundliche Aktion. Denn zunächst wurden in Frankfurt Angeklagte und Zeugen, gemeinsam in einem Hotel untergebracht. Wie sich Täter und Opfer beim Frühstück begegnet sein könnten, möchte man sich eher nicht konkret vorstellen. Insofern war es für die Zeuginnen und Zeugen eine Erleichterung bei wohlwollenden und empathischen Privatleuten freundlich aufgenommen worden zu sein.

Die Bedeutung der Zeitzeugenschaft

Während der Veranstaltung mit Gerhard Wiese wurde zusätzlich deutlich, dass heutige Zeitzeugengespräche und entsprechende Veranstaltungen wichtig sind. Damals 1965 hatte man die Bedeutung der Zeitzeugengespräche für junge Leute nicht gleich erkannt. Die Erfahrungen von damals haben Wiese nachhaltig geprägt. „Ich war Staatsanwalt, und was auf den Tisch kommt, muss bearbeitet werden“ sagte er mit gewisser Distanziertheit. Aber, „ wenn mir das nicht nachgegangen wäre, würde ich nicht in die Schulen gehen – und säße auch heute nicht hier.“ Frau Doktor und Herrn Fachinger sei herzlich gedankt und ganz besonders Herrn Oberstaatsanwalt Wiese.Dr. h.c. Wiese.